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Review of Klimapolis in DIE ARCHITEKT by scholar Lidia Casperoni (feb 2023):

Wenn die gegenwärtige Debatte über die Nachhaltigkeit von Architektur auf dem Versuch beruht, eine lediglich auf die Gestaltung des einzelnen Gebäudes ausgerichtete Perspektive zu überwinden, leistet die Buchreihe „Klima Polis“ einen grundlegenden Beitrag in diese Richtung. Die zwei bei Birkhäuser erschienenen, auch als Open Access verfügbaren Bände sind das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das 2013 von Sascha Roesler initiiert und von 2015 bis 2021 an der Akademie für Architektur in Mendrisio und der ETH Zürich durchgeführt wurde.

Ausgehend von der Annahme, dass das vom Menschen produzierte und kontrollierte Klima im städtischen Maßstab verstanden werden muss, verschiebt der erste Band von Sascha Roesler „City, Climate and Architecture“ den Fokus vom einzelnen Gebäude auf ein ganzes Netzwerk von Gebäuden, die das komplexe urbane Feld bilden. Dabei wird zunächst die Macht der Erzählung hinterfragt, die derjenigen Architekturtheorie und -geschichte zugrunde liegt, die Architektur als isoliertes Artefakt begreift. Und durch diese Verschiebung wird die Erzählung zu einer Fundgrube von Referenzen und Zugängen, in denen architektonische Entwürfe wie die von Ludwig Hilberseimer, Oswald Mathias Ungers, Luigi Caccia Dominioni und auch Bücher wie „Design with Climate“ von Victor Olgyay, ausgehend von ihren Reflexionen über das Entwerfen urbanen Klimas, neu gedeutet werden.

Dabei werden mediale Praktiken wie Diagramme, Zeichnungen, Pläne wiederentdeckt, die in der Architektur seit dem 19. Jahrhundert zur Analyse dieser Phänomene eingesetzt wurden. Aus dieser Perspektive wird das architektonische Projekt auf städtischer und landschaftlicher Ebene als klimatischer Dreh- und Angelpunkt kritisch interpretiert, der für die Konstitution der Umwelt verantwortlich ist, so im Fall der Arbeit von Anna und Lawrence Halprin. Wie Roesler selbst betont, enthüllt diese theoretische und historische Erzählung, die sich unter anderem auf den naturwissenschaftlichen Diskurs stützt, auch die Vorstellungskraft von Architekturprojekten, die sich als klimatische Interventionen in das städtische Netz einfügen.

Der zweite Band, ,,Coping with Urban Climates“, herausgegeben von Sascha Roesler, Madlen Kobi und Lorenzo Stieger, eröffnet eine vergleichende Perspektive auf Architektur und thermal governance. Diese steht für die thermische Regulierung, Steuerung und Kontrolle, die aus der „Wechselwirkung zwischen klimatischen und sozioökonomischen Phänomenen“ hervorgehen. Die Struktur der Forschung berücksichtigt drei Handlungsräume der thermal governance, nämlich erstens die physischen Strukturen wie Architektur und Infrastruktur, zweitens das menschliche Verhalten und damit die körperlichen Praktiken und Verhaltensweisen, die von Individuen in spezifischen klimatischen Situationen entwickelt werden, und drittens die sozialen Aspekte, die die gesellschaftlichen Normen der thermal governance betreffen.

Einen originellen Beitrag leistet die Methodik der sogenannten „Mikroklima-Ethnographie“. Dabei handelt es sich um direkt vor Ort durchgeführte Untersuchungen der Anpassungspraktiken der thermal governance in vier spezifischen urbanen Realitäten: Genf in der Schweiz, Santiago in Chile, Chongqing in China und Kairo in Ägypten. Dieser zweite Band enthält auch eine Definition der grundlegenden Komponenten und eine Methodik zur Kartierung sozio-klimatischer Unterschiede.

In beiden Bänden wird das komplexe Netz, das das Stadtklima ausmacht, innovativ erforscht. Gebäude erscheinen als aktiver Teil der Wechselbeziehung mit den lokalen Klimaphänomenen und anderen gebauten Räumen. Das Verdienst von „Klima Polis“ ist es, diese Forschung nicht rein theoretisch weiterzuentwickeln, sondern eine neue Erzählung der klimatischen Auswirkungen von Architektur zu initiieren. Die Darstellung der Wechselbeziehungen des städtischen Mikroklimas durch ethnografische Forschung zeigt, inwiefern das Mikroklima nicht zuletzt Ergebnis alltäglicher Anpassungs- und Produktionspraktiken ist. Dieser Raum der Sichtbarkeit verändert auch die Rolle der Architekturschaffenden, die, um die Logik der Planung zu überdenken, zunächst die klimatischen Phänomene einer situierten Realität untersuchen. Dabei wird das komplexe Netzwerk klimatischer Faktoren erkennbar, innerhalb dessen der Architektur eine entscheidende Aufgabe zukommt.